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Warum es gar nicht um Zeitmanagement geht

Geschrieben von Henriette Schwarzer | Sep 27, 2025 1:44:09 PM

Als die Tools mich im Stich ließen

Im Studium habe ich mich intensiv mit Tools beschäftigt, die das Leben leichter machen sollen. Speed-Reading zum Beispiel. Heute lese ich dadurch deutlich schneller als die meisten Menschen. Ich spare damit viel Zeit und kann unzählige Bücher in kurzer Zeit verarbeiten. Klingt erst mal nach einem großen Gewinn.

Aber irgendwann habe ich gemerkt: Nur weil ich schneller lese, bin ich nicht automatisch freier. Mein Kopf war vollgestopft mit Informationen, ich hetzte von einem Input zum nächsten und doch blieb das Gefühl, dass etwas fehlte. Man kann ja auch nie genug Bücher lesen, finde ich.

Das war mein erster Bruch mit der Idee, dass Tools allein die Lösung sind. Effizienz ist gut, aber sie ersetzt keine echten Entscheidungen. Kennst du dieses Gefühl? Du optimierst, strukturierst, probierst neue Methoden aus und trotzdem bleibt der Alltag voll, schwer und eng. Mein Bücherregal ist jedenfalls chronisch überlastet - und das ist der einzige Bereich meines Lebens, in dem ich das grinsend akzeptiere.

 

Zeitminimalismus als Haltung

Viele Menschen glauben, Zeitmanagement sei ein technisches Thema. Wenn du die richtige App findest, die perfekte Methode lernst oder die Disziplin aufbringst, deine Routinen eisern durchzuziehen, dann hast du die Lösung. Ich habe das selbst lange geglaubt. Und es stimmt ja zum Teil: Tools können dir helfen, strukturierter zu sein. Aber sie lösen nur einen Bruchteil des Problems.

Denn wenn du dir dein Leben wie ein Glas vorstellst, in das du deine Zeit füllst, dann ist ein Tool nur ein Trichter. Es bestimmt, wie du einschenkst, aber nicht, was du einschenkst. Wenn du das Glas mit Dingen füllst, die eigentlich gar nicht zu dir passen, dann bleibt es egal, wie effizient du das tust: Am Ende ist dein Glas voll, aber nicht mit dem, was dich nährt.

Zeitminimalismus ist für mich der Gegenentwurf. Es ist keine Technik, die man einmal lernt und dann perfekt beherrscht. Es ist auch kein Dogma, das vorgibt, wie dein Alltag auszusehen hat. Zeitminimalismus ist eine Haltung. Es geht darum, die Fülle an Möglichkeiten und Verpflichtungen bewusst zu sortieren und nur das zu behalten, was wirklich zu deinen Werten und Zielen passt. Alles andere darf wegfallen, ohne schlechtes Gewissen.

Ein prägendes Beispiel für mich war mein letzter Job im Angestelltenverhältnis. Ich habe dort als Erste eingefordert, nicht mehr 40 Stunden pro Woche im Büro zu verbringen. Mein Ziel war simpel: Ich wollte am Freitagmittag nach Hause gehen. Kein revolutionärer Wunsch, aber eine riesige Hürde im Kopf – sowohl bei mir als auch bei meinem Umfeld. Viele hielten das für unmöglich oder unfair. Ich musste kämpfen, diskutieren, verhandeln. Am Ende durfte ich freitags um 12 Uhr gehen.

Diese eine Entscheidung hat mein Leben spürbar verändert. Sie hat mir nicht nur ein paar Stunden Freizeit geschenkt, sondern mir gezeigt: Freiheit entsteht nicht, wenn ich mich in bestehende Strukturen füge, sondern wenn ich sie bewusst verändere. Heute weiß ich: Dieses kleine Stück Selbstbestimmung war mehr wert als jede App, die mich produktiver gemacht hätte. Meine Aufgaben blieben übrigens damals die gleichen, nur mein Gehalt wurde entsprechend gekürzt. Spannend war: Nach und nach sind andere Kolleg:innen meinem Beispiel gefolgt. Mut ist ansteckend.

 

Warum Entscheidungen mächtiger sind als Tools

Es gibt unzählige Tools, die uns Struktur versprechen: To-do-Apps, Zeitblöcke, Pomodoro-Timer, Kalender-Integrationen. Sie alle funktionieren nach dem gleichen Prinzip: Sie organisieren den Ablauf. Aber sie geben dir keine Antwort auf die entscheidende Frage: Womit willst du deine Zeit füllen?

Ich erlebe oft Menschen, die ihr Scheitern bei sich selbst suchen: „Vielleicht bin ich zu undiszipliniert, vielleicht mache ich etwas falsch.“ Sie fühlen sich schuldig, weil die Tools bei allen anderen zu funktionieren scheinen, nur bei ihnen nicht. Doch das ist ein Trugschluss. Es liegt nicht am Menschen, sondern am Missverständnis: Tools sind Werkzeuge, keine Lösungen.

Ein Werkzeug kann nur das verstärken, was du ohnehin tust. Wenn du falsche Prioritäten setzt, dann hilft dir ein Tool nur, noch schneller in die falsche Richtung zu laufen. Um das greifbarer zu machen, arbeite ich im Coaching gern mit drei Ebenen von Entscheidungen:

  1. Absagen: Bewusste Neins zu Projekten, Terminen oder Anfragen. Viele trauen sich nicht, abzusagen, weil sie niemanden enttäuschen wollen. Aber jedes Ja ist auch ein Nein zu etwas anderem. Wer hier klarer wird, schafft Platz für das Wesentliche.
  2. Streichen: To-dos hinterfragen, die nur aus Pflichtgefühl auf der Liste stehen. Muss wirklich jede E-Mail beantwortet werden? Muss jedes Meeting stattfinden? Muss jede Idee umgesetzt werden? Oft ist die Antwort: nein.
  3. Blocken: Zeitfenster für das reservieren, was dir wirklich wichtig ist: Fokusarbeit, Familie, Erholung. Blocken heißt, bewusst schützen, was zählt, auch wenn es nicht drängt.

Diese drei Ebenen sind mächtiger als jedes Tool. Sie geben dir Klarheit, Orientierung und Freiheit. Und sie sind unbequem, weil sie Entscheidungen erfordern. Entscheidungen, die manchmal anecken, Erwartungen enttäuschen oder Konventionen sprengen.

Ein Bild, das mir dazu sehr gefällt: Stell dir den Druck von oben vor, wie ein Gewicht, das dich niederdrückt. So fühlt sich falsches Zeitmanagement an. Wenn du aber eine Entscheidung triffst, die wirklich passt, dreht sich die Windrichtung: Plötzlich hast du den Wind unter deinen Flügeln. Du musst dich nicht ducken, sondern kannst abheben.

 

Echte Entscheidungen

Aus meinem Alltag

Entscheidungen hören sich manchmal groß an, als würde man sein Leben umkrempeln müssen. Aber oft sind es kleine, alltägliche Schritte, die die größte Wirkung haben.

  • Anrufbeantworter auf Dauerbetrieb: Ich bin nie telefonisch erreichbar. Für viele unvorstellbar, für mich die Basis von Fokus und Ruhe. Es hat einen großen Aufschrei gegeben, als ich das bekanntgegeben habe. Heute finde ich es absurd, dass andere ständig durch Klingeln und Piepen aus ihrer Konzentration gerissen werden.
  • Geblockte Vormittage: Als ich mehr Arbeitszeit hatte, wäre ich fast in die Falle getappt, sie sofort mit Terminen vollzuknallen. Stattdessen habe ich entschieden: Zwei Vormittage bleiben blockiert für Fokus, für Flexibilität, für mich. Kein Tool hätte mir das vorgegeben, das war meine Entscheidung.
  • Weihnachtsgeschenke im Oktober: Jedes Jahr erlebe ich, wie Menschen in der Adventszeit im Stress versinken. Für mich ist das die schönste Familienzeit. Deshalb erledige ich Geschenke frühzeitig. Das klingt unspektakulär, schenkt mir aber eine der wichtigsten Ressourcen: Gelassenheit.
  • Keine Handynummer für Kund:innen: Ich habe früh eine klare Grenze gezogen. Kund:innen können mich erreichen, aber nicht über meinen privaten Raum. Das schützt meine Energie und macht meine Arbeit nachhaltiger.

Diese Entscheidungen wirken unscheinbar. Aber sie schaffen die Grundlage dafür, dass mein Leben nicht nach Tools, sondern nach meinen Werten strukturiert ist.

 

Aus meinem Coaching

Auch in meinen Coachings geht es selten um das „richtige“ Tool. Ein Beispiel: Ein Kunde von mir arbeitete 40 Stunden die Woche. Er war effizient, nutzte Systeme, organisierte sich gut. Aber er hatte zu wenig fakturierbare Stunden und kam mit seinem Umsatz nicht weiter. Die Lösung war nicht, noch effizienter zu werden, sondern etwas völlig anderes: die Art der Arbeit zu überdenken. Gemeinsam haben wir an seiner Preisgestaltung und an einer transparenteren Kommunikation mit seinen Kund:innen gearbeitet. Ergebnis: mehr Umsatz, ohne eine einzige Stunde mehr zu arbeiten.

Das Muster sehe ich oft: Meine Kund:innen sind hoch engagiert, sie reißen sich auf, sie wollen die Welt bewegen. Ihr Kalender ist voll, sie sagen überall Ja, arbeiten abends und am Wochenende. Und trotzdem haben sie das Gefühl, nicht bei dem anzukommen, wofür sie eigentlich angetreten sind.

Die Wahrheit ist: Sie scheitern nicht an fehlender Disziplin oder am falschen Tool. Sie scheitern daran, dass sie Entscheidungen vermeiden. Aus Angst, aus Pflichtgefühl, aus Gewohnheit. Wenn sie lernen, abzusagen, zu streichen und zu blocken, verändert sich ihr Alltag radikal. Nicht, weil sie mehr schaffen, sondern weil sie endlich das Richtige tun.

 

Selbstbestimmt leben: Meine Definition

Selbstbestimmt leben heißt für mich nicht, einen minutiösen Tagesplan zu haben, den ich jeden Tag gleich abspule. Im Gegenteil: Meine Routine ist mein Familienleben. Mal wache ich um fünf Uhr auf und arbeite konzentriert, bevor der Rest des Hauses wach wird. Mal gönne ich mir den Luxus, länger zu schlafen. Seit über sieben Jahren lebe ich ohne Wecker und das ist für mich eine der größten Freiheiten überhaupt.

Diese Entscheidung hat meinen Alltag verändert. Ich beginne meinen Tag ausgeschlafen, nicht getrieben. Meine produktivste Zeit liegt in den ersten anderthalb Stunden am Morgen. Danach genieße ich das Frühstück mit meiner Familie. Und wenn ich mich danach wieder an den Schreibtisch setze, habe ich das Gefühl, schon zwei Leben in einem Tag gehabt zu haben: das meiner Arbeit und das mit meinen Kindern.

Selbstbestimmt leben bedeutet für mich auch, klare Grenzen zu setzen. Ich sage Nein zu Anfragen, die nicht passen. Nein zu Ausnahmen, die meine Energie rauben. Nein zu der Erwartung, dass ich mich ständig verfügbar mache. Dieses Nein ist kein Verlust, sondern ein Gewinn: Es macht Raum für das Ja zu den Dingen, die mir wirklich wichtig sind.

Viele erwarten von mir, dass ich eine Methode entwickle. Die eine Henriette-Methode, die alle anwenden können. Eine Art System, das Erfolg garantiert. Aber genau das wäre Verrat an meinem Ansatz. Denn mein Weg ist nur meiner. Wer möchte schon freiwillig jeden Morgen um halb fünf aufstehen? Für manche ist das ein Albtraum und das ist völlig in Ordnung.

Deshalb ist mein Coaching nie eine starre Formel, sondern immer individuell. Ich begleite Menschen darin, ihren eigenen Rhythmus zu finden. Denn selbstbestimmt leben heißt: den eigenen Takt zu tanzen, nicht im Takt fremder Methoden.

 

Dein Mini-Coaching

Jetzt lade ich dich ein, innezuhalten. Lies die nächsten Fragen nicht nur, sondern stell sie dir wirklich. Vielleicht magst du sie sogar aufschreiben:

  1. Wo in deinem Alltag sagst du Ja, obwohl ein Nein dich freier machen würde? Vielleicht ist es ein Meeting, zu dem du immer gehst, obwohl es nichts bringt. Oder eine private Verpflichtung, die dich jedes Mal auslaugt.
  2. Welche Tools geben dir Druck statt Leichtigkeit? Vielleicht dein Kalender, der dich mit Erinnerungen bombardiert. Vielleicht eine App, die dir sagt, dass du „nicht produktiv genug“ warst.
  3. Welche Entscheidung würdest du heute schon treffen können, die dir mehr Freiheit schenkt? Vielleicht so klein wie: eine Stunde das Handy weglegen. Oder so groß wie: einen Auftrag ablehnen, der nicht passt.

Diese Fragen sind kein Test. Sie sind ein Angebot, dich selbst ehrlich zu betrachten. Denn oft reicht schon eine Entscheidung, um ein Gefühl von Freiheit zurückzubekommen.

 

Dein eigener Weg

Ich möchte dir zum Abschluss etwas mitgeben: Sei kritisch. Sei kritisch, wenn dir jemand verspricht, mit Tool XY würdest du endlich erfolgreich. Sei kritisch, wenn Programme dich nur in Richtung „schneller, höher, weiter“ treiben wollen. Natürlich darf dein Ziel Wachstum sein, mehr Umsatz, mehr Erfolg. Aber frag dich: Ist es wirklich das, was du willst? Oder hast du dir dieses Ziel nur geliehen, weil es „man“ so macht?

Selbstbestimmt leben heißt, deine eigene Definition von Erfolg zu finden. Für die einen ist es der große Exit, für die anderen ein freier Freitag, für wieder andere die Möglichkeit, nachmittags ihre Kinder von der Schule abzuholen. Es gibt keine falschen Antworten, nur deine.

Wenn du spürst, dass du nicht länger im Takt fremder Methoden tanzen willst, sondern deinen eigenen Rhythmus finden möchtest, dann lade ich dich ein: Lass uns reden. In einem kostenlosen Erstgespräch schauen wir gemeinsam, was für dich wirklich zählt und wie du deine Zeit so gestalten kannst, dass sie dich trägt – nicht treibt.